Die Kraft der Integration: Erinnerungen als Teil meines Selbst
In meinem Leben habe ich oft erlebt, wie schnell sich Dinge verändern und wie unwiederbringlich manche Momente an uns vorüberziehen. Lange Zeit war ich geneigt, mich genau darauf zu konzentrieren – auf das, was nicht mehr ist, auf das Verlorene, das Vergangene. Doch mit der Zeit habe ich einen anderen Blick darauf entwickelt: Es kommt nicht darauf an, dass etwas vorbei ist und nie wiederkehrt. Entscheidend ist, dass es gewesen ist – und dass es Teil von mir geworden ist.
Diese Veränderung in meiner Sichtweise hat mir geholfen, mit Erinnerungen anders umzugehen – sanfter, versöhnlicher, liebevoller. Denn ich habe erkannt: Alles, was ich erlebt habe, lebt in mir weiter. Menschen, Zeiten, Erlebnisse – sie sind nicht einfach verschwunden, sondern haben Spuren in mir hinterlassen. Ich bin ein Teil von ihnen, und sie sind ein Teil von mir.
Ich bin die Summe meiner gelebten Erfahrungen
Heute glaube ich: Ich bin die Summe all dessen, was ich erlebt habe. Die Menschen, mit denen ich mein Leben geteilt habe – ob für kurze oder lange Zeit – haben mich mitgeprägt. Sie haben etwas in mir angestoßen, geweckt, hinterlassen. Und dieses „Etwas“ begleitet mich. Es zeigt sich vielleicht in meinen Gedanken, in meinem Fühlen, in meinen Entscheidungen – manchmal ganz deutlich, manchmal nur als feine Nuance.
Das hat meine Beziehung zur Erinnerung verändert. Früher habe ich oft gedacht: Das ist vorbei, ich bekomme es nie zurück. Und das hat wehgetan. Doch heute versuche ich, anders hinzuschauen: Es war da. Und es ist nicht weg – es ist in mir.
Das hat mir geholfen, besser mit Abschieden umzugehen – mit Verlust, aber auch mit Phasen meines Lebens, die einfach zu Ende gegangen sind. Ich möchte euch gern einladen, auch für euch selbst einmal hinzuspüren, was sich verändert, wenn ihr euch erlaubt, das Vergangene als integrierten Teil eures Lebens zu betrachten – nicht als etwas, das ihr verloren habt.
Ein anderer Umgang mit Erinnerung
Ich habe gelernt, dass Erinnerung nicht nur Schmerz auslöst – sie kann auch Verbindung stiften. Wenn ich an Menschen denke, die ich liebe und die nicht mehr Teil meines Alltags sind, spüre ich oft Trauer. Aber je mehr ich zulasse, dass sie in mir weiterleben, desto mehr verändert sich diese Trauer. Sie wird stiller, wärmer. Ich kann dann auch Dankbarkeit empfinden – dafür, dass es sie gab, dass sie in meinem Leben waren, dass sie etwas in mir hinterlassen haben.
Ebenso geht es mir mit bestimmten Lebensphasen – zum Beispiel meiner Kindheit. Wenn ich an schöne Momente von damals denke, kann ich das heute meist mit einem Gefühl von Weichheit tun, nicht mehr nur mit Wehmut. Das gelingt mir vor allem dann, wenn ich bewusst versuche, die Erinnerung als etwas zu sehen, das mir gehört – das nicht weg ist, sondern in mir.
Früher habe ich oft versucht, über Methoden wie die Arbeit mit dem „inneren Kind“ Zugang zu diesen Gefühlen zu finden. Aber ehrlich gesagt: Das hat mir persönlich nie wirklich geholfen. Vielleicht habe ich es nicht richtig verstanden, vielleicht war es nicht der richtige Ansatz für mich – das kann gut sein. Doch ich habe für mich gemerkt, dass es nicht darum geht, was „man tun sollte“, sondern darum, was mir selbst wirklich hilft.
Und dieser integrative Blick, von dem ich hier spreche – diese Vorstellung, dass alles, was ich erlebt habe, in mir weiterlebt – hat mir tatsächlich mehr Trost und Orientierung gegeben als viele der gängigen therapeutischen Konzepte.
Mein innerer Raum – ein Ort des Rückzugs und der Stärke
Was mir besonders hilft, ist die Vorstellung eines inneren Raumes. Ein Raum in mir, den ich ganz nach meinen Vorstellungen gestalten kann – mit allem, was mir guttut: schöne Erinnerungen, vertraute Menschen, Dinge, die mir Trost spenden. Dieser Raum ist mein Rückzugsort. Dort hat alles Platz, was zu mir gehört – auch das, was vergangen ist, aber weiterhin in mir wirkt.
Wenn es mir schlecht geht oder schmerzhafte Erinnerungen auftauchen, stelle ich mir vor, wie ich in diesen Raum gehe. Ich setze mich vielleicht zu meinen Haustieren, blicke aufs Meer hinaus oder dorthin, wo mein innerer Blick Ruhe findet. Dieser Ort gibt mir Halt. Und ich weiß: Ich kann ihn jederzeit betreten.
Ich bin überzeugt: Wir selbst erschaffen unsere innere Welt, unsere Vorstellungskraft – unabhängig davon, was im Außen geschieht. Das ist eine große Kraft, die wir oft unterschätzen.
Ich hoffe, dass meine Gedanken euch inspiriert oder berührt haben. Vielleicht spürt ihr ja auch, dass in der Integration von Erinnerungen – anstatt im ständigen Zurückschauen auf das Verlorene – ein Weg liegt, der leichter und heilsamer sein kann.
Probiert es einfach einmal aus: Denkt an eine Situation, die euch traurig macht, weil sie vorbei ist – und versucht, sie als Teil eures heutigen Selbst anzuerkennen. Vielleicht entsteht daraus ein neuer innerer Raum, der euch nährt und stärkt.
Ich freue mich, wenn wir uns bald wiederhören. Bis dann – macht’s gut.
